3. April 2024
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In unserer neuen Interviewreihe „Von euch für euch“ kommt ihr zu Wort: Hier gibt es Tipps zur Unterrichtspraxis aus erster Hand! Das erste Gespräch haben wir mit dem Lehrer M. Schellenberg aus Sachsen geführt:

Ich unterrichte Evangelische Religion, Informatik, Physik, Technik/Computer und Wirtschaft-Technik-Haushalt/Soziales und bin derzeit an einer Oberschule in Sachsen. Ich bin ausgebildeter Lehrer für die Sekundarstufen I und II und unterrichte seit 2009. Seitdem war ich in verschiedenen Schulformen tätig: am Beruflichen Gymnasium, der Berufsschule und der Oberschule. Ich habe Erfahrungen in der Lehrtätigkeit sowohl an staatlichen als auch an freien Schulen.

Wie begeisterst du deine Lernenden für das Fach Religion?

Allgemein
Grundsätzlich wird Begeisterung geweckt, wenn die Lehrkraft selbst begeistert ist. Wichtig ist deshalb, dass man sich selbst für religiöse Themen interessiert und sich auch selbst als religiösen Menschen sieht. Um sicher auftreten zu können, sollte man spätestens im Studium für sich selbst grundsätzliche Fragen des eigenen Glaubens geklärt und einen eigenen Standpunkt haben. Das schließt eine Offenheit zum Weiterlernen natürlich nicht aus.

Wichtig ist auch, dass man sich die vielen interessanten verbindenden Gemeinsamkeiten der Religionen bewusst macht. Muslime kennen Jesus, Maria und ganze Teile der Bibel aus dem Koran. Im Judentum werden heute noch die Geschichten erzählt und im Alltag gefeiert, die wir aus dem Alten Testament kennen. Zahlreiche Speise- und Hygienevorschriften verbinden beide Religionen stark, während das Christentum unübersehbar die ganze Kulturgeschichte Europas geprägt hat und dadurch zusammen mit dessen wirtschaftlichem Aufstieg und seinem Einfluss auf die ganze Welt gesehen wird.

Begeisterungsfähigkeit für Religion erwächst durch persönliches Selbstbewusstsein im Glauben. Meine Schüler wissen, dass sie mich alles fragen können und sie wissen auch, dass ich einen stabilen und begründeten Glauben habe. Sie wissen, dass ich alle Religionen achte und dabei die Stärken der christlichen Religion sehe.

Selbstbewusstsein erwächst auch durch den eigenen Leitfaden, so fair und objektiv wie möglich unterrichten zu wollen.
Ich finde es besonders wichtig, Wissen über Religionen möglichst so neutral weiterzugeben, dass ein Vertreter der Glaubensgemeinschaft, die gerade Thema ist, anwesend sein könnte.

Mein Anspruch ist es, alle Religionen aus Sicht ihrer Glaubensanhänger zu vermitteln.

Konkret
Echte und dauerhafte „Begeisterung“ bei Schülern für Unterricht wäre zwar schön, ist aber kein realistisches Ziel. Zufrieden bin ich, wenn die Kinder den Unterricht interessant und kurzweilig finden und viel lernen.  Dabei helfen die Auswahl und Abwechslung von lebenspraktischen Themen, interessanten Aufgaben und Methoden. Ich arbeite viel mit Bildern/Folien/PowerPoint-Präsentationen. Viele Kinder sind visuelle Typen und können sich so besser fokussieren. Zentral ist auch die Interaktion. Jeder sollte wissen, dass er jederzeit etwas sagen, fragen oder auch drankommen kann. Bei den Schülerantworten versuche ich, immer etwas Positives, Richtiges oder Interessantes zu finden, um Motivation zu schaffen.

Was ist dein bester Unterrichtsstart für müde Lerngruppen?

Das kommt auf die Klasse/Altersgruppe an und da gibt es unterschiedliche Möglichkeiten:

Gute Erfahrungen mache ich mit Ritualisierung. Da können die Schüler schnell auf das Fach umschalten und munter werden. Kurz vor Stundenbeginn schreibe ich den „Fahrplan“ an die Tafel. Der gibt einen Überblick darüber, was in der Stunde gemacht und gelernt wird. Der erste Punkt kann gelegentlich auch eine mündliche Leistungskontrolle sein, zum Beispiel zum Stoff der letzten Stunde, wenn es passt.

Ich starte häufig mit der Beamerprojektion der Tageslosung, lese sie vor und abhängig vom Inhalt bietet sich oft ein vorbereiteter Exkurs mit Bildern/Stichpunkten oder auch nur ein kurzer Gedankengang dazu an.

Ein guter Einstieg ist es auch, auf eine Schüleräußerung aus der letzten Stunde Bezug zu nehmen („Tom hatte sich darüber gewundert, dass …“), diese aufzugreifen und weiterzuentwickeln.

Manchmal ist auch ein Lied ein guter Einstieg, welches man mit der Lerngruppe über mehrere Unterrichtsstunden einstudiert und dann immer weiter verbessert.

Was ist dein ultimativer Tipp bei Unterrichtsstörungen?

Unterrichtsstörungen sind generell ein großes Thema und bestimmen den Alltag sicher aller Lehrkräfte.  Selbst wenn gerade niemand den Unterricht stört, so muss ich ständig etwas dafür tun, damit das auch so bleibt. Störungen können auch durch Überlastung von Schülern durch Randstunden, vorherige Klassenarbeiten und Stresssituationen begründet sein. Störungen können aber auch ein Ventil und ein Indikator dafür sein, dass die Kinder gerade keine Angst haben und zuvor in einer zwar störungsfreien, aber beklemmenden Unterrichtssituation waren. Es gilt ein gutes Mittelmaß zu finden. Würde man ständig jede mögliche Störung unterbinden und sanktionieren, wäre der Preis dafür ein Verlust von Menschlichkeit, Gelassenheit und Nähe.

Wie greifst du aktuelle Themen im Unterricht auf?

Prinzipiell beginne ich gerne eine Unterrichtsstunde mit „Gibt es Fragen, Hinweise, Vorschläge?“. Manchmal kommt dann eine Frage zu einem aktuellen Thema.

Häufig gebe ich am Anfang des Schuljahres auch Zettel aus und alle sollen anonym ihre Fragen aufschreiben. Diese baue ich dann je nach Thema ein. Das motiviert, weil die Kinder wissen, dass die Fragen aus der eigenen Klasse kommen.

Ich bin ständig auf der Suche nach aktuellen Verknüpfungen. Bilder vom eigenen Urlaub in Israel. Der Name der Kinder auf Hebräisch. Ein bevorstehender christlicher Feiertag. Den Ramadan aufgreifen, wenn gerade die Zeit ist. Ein Symbol auf dem T-Shirt eines Schülers. Wenn man seine Umwelt aufmerksam betrachtet, findet man ständig Religion, weil der Mensch ein religiöses Wesen ist. Wichtig ist es dabei an die Ergebnissicherung zu denken. Ein paar Stichpunkte sollten zu jedem Thema im Heft stehen.

Wie differenzierst du im Unterricht?

Im Fall von jahrgangsübergreifendem Unterricht gibt es unterschiedliche Leistungskontrollen für die unterschiedlichen Klassen. Die höhere Klasse bekommt dann mehr und tiefergehende Aufgaben.

Innerhalb einer Klassenstufe findet bei mir grundsätzlich Gleichbehandlung und möglichst realistische Bewertung statt. So gibt es in meinem Religionsunterricht nicht nur ‚Einsen und Zweien‘, sondern das ganze Notenspektrum – auch im Zeugnis. Individuelle Schwächen wie LRS werden berücksichtigt, indem die jeweiligen Kinder bei Bedarf mehr Zeit bekommen. Differenzierung kann auch durch individuelle (Zusatz-)Aufgaben stattfinden, bspw. wenn ein Kind längere Zeit in Kur war. Am Ende gilt, dass alle das Unterrichtsziel erreichen sollten.

Vielen Dank für das Gespräch, lieber M. Schellenberg!

PS: Habt ihr Lust, bei unserer Interviewreihe mitzumachen und unsere Fragen zu beantworten? Dann schreibt einfach eine E-Mail an reli-ethik@klett.de! Wir freuen uns auf viele interessante Gespräche und einen wertvollen Erfahrungsaustausch hier in unserem Blog.

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