27. Januar 2023
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Der damalige Bundespräsident Roman Herzog erklärte am 3. Januar 1996 den 27. Januar zum Tag des Gedenkens für die Opfer des Holocaust.

Der Holocaustgedenktag

Roman Herzog gab vor 27 Jahren dem Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus einen würdigen Rahmen, indem er den Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau zu einem bundesweiten, gesetzlich verankerten Gedenktag erklärte. Herzogs damalige Proklamation hat folgenden Wortlaut:

„1995 jährte sich zum 50. Mal das Ende des Zweiten Weltkrieges und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. In diesem Jahr haben wir uns in besonderer Weise der Opfer des nationalsozialistischen Rassenwahns und Völkermordes erinnert und der Millionen Menschen gedacht, die durch das nationalsozialistische Regime entrechtet, verfolgt, gequält oder ermordet wurden. Symbolhaft für diesen Terror steht das Konzentrationslager Auschwitz, das am 27. Januar 1945 befreit wurde und in dem vor allem solche Menschen litten, die der Nationalsozialismus planmäßig ermordete oder noch vernichten wollte. Die Erinnerung darf nicht enden; sie muss auch künftige Generationen zur Wachsamkeit mahnen. Es ist deshalb wichtig, nun eine Form des Erinnerns zu finden, die in die Zukunft wirkt. Sie soll Trauer über Leid und Verlust ausdrücken, dem Gedenken an die Opfer gewidmet sein und jeder Gefahr der Wiederholung entgegenwirken. Ich erkläre den 27. Januar zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus.“1

Dieser Proklamation folgten die Bildungsminister des Europarats 2002 mit dem Ziel, dem Holocaust zu gedenken und dadurch Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verhindern. In Zusammenhang mit dem Gedenktag sollten im Schulunterricht Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord und eben speziell der Holocaust thematisiert werden. Unterrichtsmaterial dazu wurde vom Europarat bereitgestellt.

Die Vereinten Nationen (UN) schlossen sich dieser Erklärung 2005 an; seit 2006 ist der 27. Januar der internationale Holocaustgedenktag.

Auschwitz – das Lager

Am 27. Januar 1945, um 15:00 Uhr, erreichten Soldaten und Offiziere der Roten Armee das Hauptlager Auschwitz II.

Dort befreiten sie 5800 Menschen, 222 der ehemaligen Gefangenen starben unmittelbar nach der Befreiung.

Die Soldaten, die Auschwitz befreiten, sahen Dinge, die sie für den Rest ihres Lebens nicht vergessen würden: Leichen auf den Wegen, ausgehungerte Menschen, die nicht mehr die Kraft hatten zu laufen, Angst in den Gesichtern der Befreiten. Dennoch erfassten sie das wirkliche Ausmaß dessen, was dort geschehen war, nicht. Erst eine, wenige Tage nach der Befreiung eintreffende, Sonderkommission übernahm die Aufgabe, Augenzeugenberichte, forensische Erkenntnisse und Dokumente zu sammeln, die später bei den Nürnberger Prozessen eine Rolle spielten.

Zum Konzentrationslager Auschwitz gehörten 38 Nebenlager, die über ein weites Gebiet verteilt waren. Viele der Nebenlager waren Produktionsstätten deutscher Firmen, in denen die Menschen aus den Konzentrationslagern täglich zwölf bis 14 Stunden arbeiten mussten; hinzu kam häufig noch der Fußweg zwischen der Produktionsstätte und dem KZ, wo sie noch stundenlang für die Zählung stehen mussten.

Das Prinzip „Vernichtung durch Arbeit“ funktionierte, indem die Häftlinge regelmäßig ausgetauscht wurden und die, die körperlich nicht mehr in der Lage waren zu arbeiten, ermordet wurden. Dieses Konzept war Teil von vertraglichen Vereinbarungen zwischen dem SS-Wirtschaftsamt und den jeweiligen Fabriken bzw. Firmen, die ihre Produktion nach Auschwitz bzw. eines der Nebenlager verlegt hatten.

Die Ermordungen fanden in den sogenannten Gaskammern statt; die Leichen wurden anschließend durch andere Gefangene in eines der Krematorien gebracht. Das Hauptlager hatte vier Krematorien mit insgesamt 46 Verbrennungsstellen. Zwei dieser Krematorien waren unterirdisch, zwei waren überirdisch errichtet worden.

Ende November führte das Näherkommen der alliierten Front dazu, dass die ersten Krematorien von der SS gesprengt und die Häftlinge gezwungen wurden, diese abzubauen. So sollten die Beweise für die Ermordungen beseitigt werden. Um noch so viele Menschen wie möglich zu ermorden, ließ die SS Gräben ausheben, in die die entkräfteten Menschen hineingeworfen wurden, nachdem sie erschossen worden waren.

Ab dem 18. Januar 1945 wurden die Lagerinsassen von Auschwitz und anderen Lagern aus in Richtung Deutschland getrieben. Wer durch die Anstrengung, die Kälte, den Hunger schwach war oder hinfiel, wurde erschossen. Auf die sogenannten Todesmärsche wurden etwa 60.000 Menschen geschickt, es wird vermutet, dass jeder vierte diese Tortur nicht überlebte.

Auschwitz als Symbol

Bundespräsident Gauck betonte in seiner Rede zum 27. Januar 2015, dass es keine deutsche Identität ohne Auschwitz gebe. Wörtlich sagte er, dass die deutsche Nation „mit ihrer so achtenswerten Kultur zu den ungeheuerlichsten Menschheitsverbrechen fähig war“.

Der damalige Bundestagspräsident Lammert betonte, dass das Verbrechen in den Konzentrations- und Vernichtungslagern emotional erfahrbar werde, wobei es rational unvorstellbar bleibe. Lammert beschrieb Auschwitz als Synonym für das, „was Menschen Menschen antun können“. Dabei machte er auch deutlich, dass entlang der Straßen und Wege zwischen den Konzentrationslagern im Osten und dem deutschen Kernland im Westen Tausende von Häftlingen auf den sogenannten Todesmärschen von den Bewohnern der Städte und Dörfer gesehen wurden.

Auschwitz ist ein Beweis für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und einen (nach Habermas) „Zivilisationsbruch“. Auschwitz habe, so Habermas, an der Solidarität zwischen Menschen und Menschlichkeit gerührt, einem Prinzip, das man bis dahin als selbstverständlich vorausgesetzt habe. Die Aufarbeitung der Verbrechen machte ebenfalls deutlich, dass die Täter und die „Helfer“ keineswegs eine Gruppe von Psychopathen waren, sondern vielmehr „normale Menschen aus der Mitte der Gesellschaft“.

Auschwitz als Symbol bedeutet gerade in Deutschland auch ein mehr oder minder diffuses Gefühl von Schuld oder Verantwortlichkeit und oft auch das deutliche Verneinen von beidem.

Das ist eine der großen Herausforderungen des Holocaustgedenktages.

Das Gedenken an den Holocaust

Israel begeht den Gedenktag für die Ermordeten der Shoa, des Holocaust am 27. Nisan (ca. März/April, immer eine Woche nach Ende des Pessach-Festes). David Ben Gurion rief diesen Tag 1951 als einen Gedenktag aus.

Dieses Datum basiert auf dem Beginn des Aufstands des Warschauer Ghettos 1943.

Das israelische Gedenken ist ritualisiert und Teil des nationalen Gedenkens. Um 10:00 Uhr morgens ertönen für zwei Minuten die Sirenen und das gesamte Land, der Verkehr, die Menschen, stehen still.

Am Abend zuvor werden in Yad Vashem in Jerusalem sechs Fackeln entzündet, die symbolisch für die sechs Millionen jüdischen Opfer stehen, die ermordet wurden. Die Fahnen wehen auf Halbmast, viele öffentliche Einrichtungen sind geschlossen.

An Jom Hashoa endet in der Regel auch der sogenannte „March of the Living“, der „Marsch der Lebenden“ im Konzentrationslager Auschwitz; ein Marsch, der seit vielen Jahren v. a. von jüdischen Jugendlichen aus Europa und weltweit durchgeführt wird. In vielen jüdischen Gemeinden werden an diesem Tag die Namen der Gemeindemitglieder verlesen, die die Shoa nicht überlebt haben.

In Deutschland und international ist der 27. Januar ein vergleichsweise junger Gedenktag, der im gesellschaftlichen Bewusstsein erst allmählich Einzug findet. Die Veranstaltungen zu diesem Gedenktag sind vor allem im Rahmen staatlicher Organisation, in den Schulen wird um diesen Termin herum das Thema in unterschiedlicher Intensität behandelt. Ein gesamtgesellschaftliches Gedenken hat Deutschland noch nicht abschließend entwickelt.

Gedanken für Lehrende oder auch: ein Wort in eigener Sache

Ich, als Verfasserin dieses Artikels, bin jüdische Religionslehrerin und habe zwei Jahre lang Lehrkräfte ausgebildet. Im ethisch-philosophischen Grundlagenstudium habe ich vorwiegend Seminare zum Thema Holocaust angeboten. Diese waren recht gut besucht, das Interesse war erheblich, aber ebenso deutlich hatten die meisten Studierenden Probleme mit der Auseinandersetzung mit diesem Thema. Dabei herrschte bei den Studierenden ein diffuses Unwohlsein vor. Das zeigte sich darin, dass sie Vorbehalte dagegen hatten, das Thema überhaupt im Unterricht anzusprechen und wenn doch, was das „richtige“ Maß dabei sei. Zahlen und Fakten waren in der Regel bekannt, sie waren ja bereits Thema der eigenen Schulzeit.

Viele Lehrkräfte sind der Auffassung, dass es wichtig und notwendig sei, über diese Zeit zu sprechen. Viele Lehrkräfte sind aber auch voller Zweifel und unbestimmter Ängste, die Lernenden zu schockieren, zu belasten und etwas falsch zu machen, die Kinder unter Umständen zu traumatisieren. Dabei muss auch festgestellt werden, dass die meisten Lehrkräfte mit dem Thema nicht „normal“ umgehen können.

Diese Gefühle sind verständlich und legitim. Ist die Lehrkraft selbst hinsichtlich des Themas Holocaust emotional, ist es schwierig, das Thema an Lernende zu vermitteln. Hat die Lehrkraft emotionale Anteile ausgeklammert und vertritt die Auffassung, dass es Geschichte sei und niemand der heutigen Generation dabei war und deshalb bestimmte Emotionen oder mögliche Schuldgefühle ablehnt, ist es schwierig, das Thema in einer Klasse zu unterrichten.

Und es ist schwierig. Wie soll ich als Lehrkraft etwas erklären, was für mich selbst nicht erklärlich ist? Wie soll ich als Lehrkraft etwas verständlich machen, was ich selbst nicht wirklich begreifen kann?

Das einzig Greifbare sind Zahlen und Fakten, wobei auch die Zahlen in den Bereich des Unvorstellbaren gehen. Wer kann sich schon Millionen von Menschen bildlich vorstellen?

Zahlen und Fakten führen auch zu Reaktionen wie Schock, Schreck oder Dissoziation. Wie also vermitteln wir verantwortlich die Shoa, den Holocaust, als Teil eines Gedenkens, das noch nicht wirklich Teil unserer etablierten Erinnerungskultur ist?

Ich bin davon überzeugt, dass der Holocaust, seine Schrecken und Gefahren und unsere Verantwortung für die Erinnerung daran, mithilfe von Empathie vermittelt werden können. Schaffen wir es, bei den Lernenden Empathie zu erzeugen, haben wir das Thema Holocaust erfolgreich vermittelt – auch ohne viele Zahlen und Fakten. Das kann man beispielsweise durch das Bearbeiten eines Einzelschicksals. Hier bietet es sich an, eine Person zu suchen, deren Leben vor, während und idealerweise nach dem Holocaust beschrieben ist. Dadurch vermeidet man, den Holocaust zu einem in sich isolierten, geschlossenen System zu machen. Der Holocaust ist nicht über das deutsche Volk gekommen, sondern aus ihm. Dies ist ein wichtiger Schritt im Gedenken und dabei, „künftige Generationen zur Wachsamkeit (zu) mahnen“ und „jeder Gefahr der Wiederholung entgegen(zu)wirken“.

Die Beschäftigung mit dem Thema Holocaust im Unterricht ist und bleibt eine Herausforderung! Wenn es uns jedoch gelingt, den Blick der Lernenden auf Einzelschicksale zu lenken und ein Mitgefühl für das Leid dieser Menschen zu entwickeln, haben wir einen großen Schritt getan!

127. Januar – Tag des Gedenkens für die Opfer des Nationalsozialismus – Proklamation des Bundespräsidenten. (12.01.1996) Unter: https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/bulletin/27-januar-tag-des-gedenkens-fuer-die-opfer-des-nationalsozialismus-proklamation-des-bundespraesidenten-805822 (Zugriff 12.01.2022, egk.)

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#everynamecounts Eine Initiative der Arolsen Archives – mit dem Ziel den Verfolgten des Nationalsozialismus ein digitales Denkmal zu errichten.

eva.stories Ein fiktives Instagram-Profil erzählt die Geschichte eines 13-jährigen Mädchens namens Eva aus Ungarn.

Die Quellen sprechen Große Auswahl von Interviews mit Zeitzeugen sowie eingesprochenen Quellentexten

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