22. Mai 2023
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Ob sogenannte „Fußballgötter“ und „Lichtgestalten“, das vielbeschworene Gemeinschaftsgefühl oder liturgieartige Spieltagschoreografien. Rund um den Fußball lassen sich viele Parallelen zu Religionen entdecken. Doch kann Fußball eine Religion sein?

Die Stollen der Götter

Eine turbulente Fußballsaison neigt sich dem Ende zu: Neben der mittlerweile ungewohnten Spannung im Kampf um die Meisterschaft wurde sie im Dezember durch eine umstrittene Weltmeisterschaft unterbrochen, aus der Argentinien zum dritten Mal als Sieger hervorging. Und wer erinnert sich bei dem Triumph nicht auch an den vorherigen Sieg 1986, der maßgeblich durch die „Hand Gottes“ herbeigeführt wurde? Das Tor fiel im Viertelfinale gegen England und geschossen hat es Diego Maradona, der begnadete argentinische Fußballer, der in seiner Heimat und in Neapel wie ein Heiliger verehrt wird. Maradona selbst war der Auffassung, dass es der Allmächtige sei, der ihn zu seinen grandiosen Leistungen befähigt habe. Ob daran nun etwas gewesen ist oder nicht, so mancher Fußballstar wird öffentlich und im Privaten ge- bzw. verehrt. Fanatische Fans schaffen sich sogar eine Art Schrein, um dem eigenen Idol zu huldigen oder es für das nächste Spiel zu beschwören. Auch unabhängig einzelner „Fußballgötter“ scheint dieser Sport etwas mit Religion zu tun zu haben, das zeigen u. a. betende Fans vor dem oder beim Elfmeterschießen, Fußballtrikots, die „heilig“ gehalten werden, das vielbeschworene Gemeinschaftsgefühl, Emotionen, religiös anmutende Fanlieder (Borussia Dortmund (bvb.de)) oder Initiationsriten in Vereinen und Fanclubs. Und ganz ähnlich wie gegenüber den Kirchen wird von Fans, Medien oder der Gesellschaft eine ganz besondere moralische Verantwortung von Verbänden, Vereinen, aber auch den Spielern selbst herausgestellt, wie insbesondere die Diskussionen um die Weltmeisterschaft in Katar gezeigt haben. Liegt es da nicht nahe, im Fußball selbst eine Art Religion, wenigstens aber eine Ersatzreligion sehen zu können?

Fußball als (Ersatz-)Religion­ –  eine Frage der Definition?

Die angeführten Beispiele zeigen es, zumindest sprachlich und phänomenologisch lassen sich Parallelen zwischen dem Fußball und Religion(en) ziehen. Aber bedeuten diese Gemeinsamkeiten auch, dass es sich insgesamt um das gleiche Phänomen handelt? Im Ethik-, aber auch im Religionsunterricht kann genau dieser Frage nachgegangen werden. Ein Vergleich von Religion und Fußball bietet dabei die alltagsnahe Möglichkeit, Merkmale von Religion(en) stärker zu konturieren und zu einer verständlichen Beschreibung von Religion zu kommen. Denn auch wenn es im Fußball eine um religiöse Bilder angereicherte Sprache, symbolhafte und rituelle Handlungen, Gemeinschaftsgefühl und Verehrung gibt, so sind keine Antworten auf letzte Sinnfragen zu finden, es fehlt der Transzendenzbezug. Außerdem ist bei der Betrachtung des Gegenstandsbereichs zu unterschieden zwischen Religion im Fußball, etwa religiöse Spieler oder religiöse Rückzugsorte in Stadien, und Fußball als Religion.

Anknüpfungsmöglichkeiten im Unterricht

Der Ethikunterricht der Sekundarstufe I hat die phänomenologische Betrachtung von Religion(en) zum Gegenstand, etwa die Fragen, was ist Religion überhaupt ist, wo man ihr begegnet bzw. was kann alles Religion (nicht) sein kann. Aber darunter sind auch persönlichere Fragen, z. B.: Wo finde ich als Individuum Halt im Leben? Über Bilder und/oder durch eine Analyse von Vereinsliedern (z. B. des Fan-Liedes „Borussia“, s. Link oben) kann der emotionalen, der quasi-religiösen Seite des Fußballs nachgegangen werden: Welche Parallelen zu Religion(en) lassen sich ziehen? Z. B. im Hinblick auf religiöse Gefühle, Symbole, Rituale, Feste und Sprache? Der Vergleich kann durch entsprechende Medien unterstützt werden (s. u. Medientipps). Abschließend diskutieren die Lernenden, ob/inwiefern Fußball im Leben Halt geben kann wie eine Religion.

Der Religionsunterricht der Oberstufe eignet sich sogar, um die dort diskutierten Definitionen von Religion (funktional und substanziell) auf ihre Aussagekraft kritisch zu hinterfragen: Die Lernenden prüfen die Definitionen im Hinblick auf das Phänomen Fußball: Mit welcher Definition lässt es sich (eher) beschreiben? Welche Rückschlüsse über die Aussagekraft bzw. Reichweite der jeweiligen Definition lassen sich daraus ziehen? etc.

Funktionale ReligionsdefinitionSubstanzielle Definition von Religion
Diese Definition beschreibt die Leistung, den Nutzen von Religion für Individuum und Gesellschaft, etwa die integrative oder die identitätsstiftende Bedeutung und Wirkung von Religion.Dieser Definitionstyp erfasst das Essenzielle von Religion, ihre sinnstiftende Bedeutung für den Glaubenden, die religiösen Erfahrungen, heilige Handlungen und Formen des Ergriffenseins.
Außenseite von Religion Innenseite von Religion

Habt ihr in eurem Religons- oder Ethikunterricht schon einmal Fußball als Religion thematisiert? Wie sind die Diskussionen verlaufen?

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