9. Januar 2023
47

Sucht man vergeblich nach weiblichen Glaubensvorbildern und Identifikationsfiguren im Neuen Testament? Keineswegs. Mit Blick auf die traditionelle Rolle der Frau im Judentum (vgl. Blog-Beitrag Jesu Umgang mit Frauen) überrascht es, welchen unkonventionellen Umgang Jesus mit Frauen pflegte. An der Begegnung Jesu mit den Schwestern Marta und Maria aus Betanien wird deutlich, dass Jesus nicht nur mit Frauen kommunizierte, sondern ihnen auf Augenhöhe begegnet.

Marta und Maria aus Betanien: Vorüberlegungen

Im Lukasevangelium (Kap.10,38-42) wird von zwei Frauen berichtet, deren Geschichte von Anfang an für Konflikte gesorgt hat: Marta und Maria, zwei Schwestern, beherbergen Jesus auf einer seiner Wanderungen durch Galiläa. Marta sorgt sich in der Küche um das leibliche Wohl ihres Gastes, während Maria die Zeit nutzt, um Jesus zuzuhören und mit ihm zu reden. So weit, so gut, wäre da nicht das offene Ende der Geschichte mit dem für Zustimmung oder Ablehnung provozierenden Satz Jesu: „Maria hat den guten Teil gewählt, der wird ihr nicht genommen werden“, als Marta sich beschwert, dass Maria ihr nicht hilft.

Im Laufe der Auslegungsgeschichte wurde Marta (arm. „Herrin“) zum Sinnbild für das aktive Leben (vita activa) und Maria (hebr. „Miriam“, eine eindeutige Übersetzung ist nicht möglich) zum Sinnbild für das kontemplative Leben (vita contemplativa). Dabei wurde im Sinne jüdischen und philosophischen Denkens die „Kopfarbeit“ höher eingestuft als die „Handarbeit“. Im Mittelalter verschoben sich die Akzente: Die aktive, lebenstüchtige Marta wurde aufgewertet. Dies hatte Auswirkungen auf das Frauenbild. So hatte z. B. das Leben in einem Kloster nicht mehr den höchsten Stellenwert für eine Frau. In einer von Männern bestimmten Welt kam nun die dienende Rolle der Frau wieder zu Ehren. Dieses Verständnis ist auch heute noch anzutreffen: Denn auch heute werden Mädchen, trotz aller Bemühungen der Frauenbewegungen, dazu erzogen, dienende Aufgaben (Service-Arbeiten) zu übernehmen.

Der vorliegende Text gibt keine Beurteilung und keine Antwort in diesem Sinne. Der Konflikt bleibt bestehen, so wie er in der lukanischen Gemeinde zu finden war. Marta verkörpert die Frau ihrer Zeit, die sich um den Haushalt kümmert. Allerdings setzt auch sie sich schon über die Gepflogenheiten ihrer Umgebung hinweg. Sie lädt als alleinstehende Frau Jesus, einen Mann, in ihr Haus ein. Maria geht noch einen Schritt weiter. Sie setzt sich Jesu zu Füßen, so wie es die Schüler bei einem Rabbi machten. Sie will von Jesus die Tora ausgelegt bekommen, ein Privileg der Männer. Marta ist mit diesem Verhalten nicht einverstanden. Sie will Maria in die ihr zustehende Rolle zurückholen. Aber Maria widersetzt sich diesem Ansinnen. Sie ist keineswegs nur eine passive Zuhörerin. Und Jesus unterstützt sie: Maria hat den „guten Teil“, und zwar nicht im Gegensatz zu dem schlechteren Teil Martas, sondern im Sinne des für sie zu diesem Zeitpunkt guten Teils. Es geht nicht um ein „Entweder-Oder“, es geht um das, was im Augenblick wichtig ist. So können Mädchen bestärkt werden, beide Seiten, die aktive und die kontemplative, in sich zu erspüren und wahrzunehmen und letztlich zu akzeptieren. Sie können ermutigt werden, überkommene und erwartete Rollenverständnisse zu hinterfragen und ggf. zu verändern. Dies gilt im Gegenüber auch für die Jungen.

Um eine Schwarzweißzeichnung besseren oder schlechteren Verhaltens zu verhindern, sollte ein Klassengespräch angeregt werden, was Jesus meint, wenn er von dem „guten Teil“ spricht. Dabei kann die Lehrende Impulse aus dem Leben Jesu geben, die deutlich machen, dass Jesus immer wieder versucht hat, Rollenzuweisungen aufzuheben (Samariterin am Jakobsbrunnen, Hauptmann zu Kaparnaum, Gemeinschaft mit Zöllnern und Sündern etc.). Beide Frauen verlassen die ihnen zugewiesenen Rollen. Beide Frauen tun das, was für sie wichtig und richtig ist, was für sie zu diesem Zeitpunkt notwendig scheint. Das führt zu einem Konflikt zwischen ihnen, der ausgetragen werden muss.

Anregungen für den Unterricht

Einstieg

Der Einstieg in die Unterrichtsstunde erfolgt mit dem Gemälde von Jan Vermeer van Delft (vgl. Kopiervorlage), der die Begegnung Jesus mit Marta und Maria nach Lk 10,38-42 künstlerisch gestaltet hat. Der Künstler überträgt die biblische Geschichte in seine Zeit; das Bild ist um 1654 entstanden. Es zeigt die Szene, in der Marta sich bei Jesus über ihre Schwester beschwert. Ihre Aufmerksamkeit ist geteilt. Sie stellt den Brotkorb auf den Tisch und wendet sich Jesus zu. Maria dagegen ist mit ihrem Körper und mit ihrer ganzen Aufmerksamkeit Jesus zugewandt. Jesus scheint zu antworten und deutet dabei auf Maria. Seine Antwort ist bekannt: „Maria hat den guten Teil gewählt.“ Die Bildkomposition ist von Dreiecken bestimmt. In der Mitte fällt der Blick auf ein dreieckiges weißes Tischtuch. Die Körperhaltung aller Figuren zeigt in seinen Umrissen diese Form. Der dunkle Hintergrund zeigt rechteckige Formen. Das Bild erhält sein Licht von links oben; dies ist deutlich an den Schatten abzulesen. In den Farben ist eine deutliche Zusammengehörigkeit zu erkennen. Der dunkle Umhang Jesu geht in den dunklen Rock über, während die gelblich-braunen Töne von Martas Kleidung den Farben von Korb und Brot entsprechen. Der einzige „Fremdkörper“ in diesem Bild ist der Teppich, der unter dem Tischtuch liegt und hinter Marias Rücken sichtbar wird. Das Bild zeigt, dass beides notwendig ist: die Sorge für das leibliche Wohl, aber auch das Zuhören und Nachdenken.

Bibelimpuls: Lk 10,38-42

Die Lernenden erarbeiten mithilfe des Bildes und der Perikope die (gegensätzlichen) Qualitäten der beiden Frauen, an denen sich die Schlüsselfunktionen der Stellung der Frau in der Kirche (noch heute) ableiten lassen. Anhand der Lukas-Erzählung hat man die „typischen“ Tätigkeiten der Frauen in der Nachfolge Christi entweder auf das Marta-Bild hin reduziert, in der Sorge für den Haushalt, für Essen und Trinken, oder dem Maria-Bild entsprechend als zuhörende und schweigende Frau in der Gemeinde. Marta galt von daher als die Aktive (vita activa), als „Patronin der Hausfrauen und Köche (29. Juli)“. Maria hingegen, die zu Füßen Jesu saß und ihm zuhörte, wurde als die mystisch Jesus-Liebende interpretiert, als Vertreterin der vita contemplativa und daher der zurückgezogenen, schweigenden, nachdenkenden (Ordens-) Frau zugeordnet.

Erarbeitung

Die Lernenden arbeiten an den beiden gegensätzlichen Frauenrollen.

Positive Elemente der beiden Tätigkeiten:

  • Marta: fürsorgend, helfend, gastfreundlich → Patronin für Hausfrauen und Pfarrhaushälterinnen (29. Juli)
  • Maria: schweigend, aufmerksame Zuhörerin, Ausbruch aus der traditionellen Frauenrolle, Zeit haben für andere, etwas Edles → Orden, mystische Liebe

Worin liegen die Schwierigkeiten / Grenzen der beiden Rollenzuweisungen?

  • Marta: Küchendunst, „nur“ Hausfrau, nütztlich aber minderwertig, etwas Banales, Alltägliches ausrichtend, Geschäftigkeit ausstrahlend
  • Maria: passiv, schüchtern, sich nicht einbringen können für die Gemeinschaft, zurückhaltend

Diskussion: Welche klassischen Rollen lassen sich von diesen Frauentypen ableiten?

  • Gesellschaft: Hausfrau, minderer Dienst
  • Kirche: Frau ist still, hört zu, zu keinem theologischen Gespräch fähig

Ergebnis: Reduktion auf nur eine Tätigkeit/Qualität kann sehr unbefriedigend sein

Abschlussdiskussion

Konkurrenz zwischen Wort und Tat: Wie stellt sie sich im Christentum dar? Wo seht ihr Marta-Frauen in der Kirche, wo Maria-Frauen?

Erkenntnisgewinn für die Lernenden

Ein Transfer zur Lebenswirklichkeit der Lernenden bietet sich an, indem sie sich mit den Charakterzügen der beiden Frauen auseinandersetzen und über den Platz von Frauen in Kirche und Gesellschaft nachdenken. Dabei sollten die Lernenden dazu angeregt werden, ihr eigenes „Frauenbild“ zu hinterfragen und zu reflektieren.

Marta und Maria – Glaubensvorbilder?

Eignen sich Marta und Maria als Identifikationsmodelle? Ja, denn an der Darstellung der Frauen des Evangelisten Lukas lassen sich unterschiedliche Frauenrollen ableiten, die im Sinne einer modernen Auffassung einordnen und diskutieren lassen.

Kostenlos zum Download

Danke!
47 Personen haben sich für diesen Beitrag bedankt.
Klicke aufs Herz und sag Danke.