11. Januar 2022
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Gibt es im Alten Testament weibliche Glaubensvorbilder? Ja, es gibt sie schon: Allerdings ereilte sie damals das gleiche Schicksal, das auch heutzutage zahlreichen Frauen in der katholischen Kirche schwer zu schaffen macht: Sie wurden/werden übersehen, nicht gehört.

Zum Beispiel Rut, Schwiegertochter von Noomi:

Mit Rut und ihrer Schwiegermutter Noomi lernen die Lernenden neben Mirjam zwei weitere alttestamentliche Frauengestalten kennen. Rut befindet sich in einer ähnlichen Situation wie Mirjam. Auch sie wagt den Aufbruch und zieht in eine ungewisse Zukunft. Doch lassen sich an Rut weitere besondere Eigenschaften entdecken, die Identifikationspotenzial bieten.

Die novellenartige Erzählung des Buches Rut handelt von der Protagonistin gleichen Namens, einer Moabiterin, also einer Nicht-Israelitin. Damit steht sie qua Herkunft außerhalb des israelitischen Gottes- und Heilsgeschehens. Dass ihr ein ganzes Buch im Alten Testament gewidmet wird, es sogar den Namen einer Nicht-Israelitin trägt, ist allein schon etwas Besonderes.

Während einer Hungersnot ist Noomi mit ihrem Mann und ihren Söhnen nach Moab ausgewandert. Dort heiratet einer ihrer Söhne Rut. Doch kurze Zeit später sterben sowohl Noomis Ehemann als auch ihre beiden Söhne. Die Witwe Noomi möchte unter diesen Umständen zurück nach Betlehem und drängt ihre ebenfalls verwitwete Schwiegertochter Rut, in Moab zu bleiben. Doch Rut lässt sich nicht beirren, sondern geht mit ihrer Schwiegermutter Noomi nach Betlehem, in ein für sie fremdes Land. Sie verlässt ihre Heimat, ohne eine Sicherheit zu haben, und gibt gleichfalls ihren Glauben auf. Sie entscheidet sich für diesen Schritt, obwohl sie weiß, dass sie als Fremde, als Heidin, kein Ansehen haben wird. Sie handelt völlig selbstlos, einzig um für Noomi zu sorgen. Ihre konsequente Entscheidung zeugt von großem Mut, von Fürsorge, Treue und Liebe. Noomis Schicksal ist allerdings in zweifacher Hinsicht prekär: Denn Noomi ist ohne Ehemann und Söhne nicht nur materiell verarmt, sondern sie hat auch ohne männliche Nachkommen keine Teilhabe mehr an der messianischen Heilshoffnung Israels. Rut sorgt nun für Noomis Lebensunterhalt, indem sie auf den Feldern des reichen Gutsbesitzers Boas Ähren einsammelt und ihnen beiden damit zu einem kleinen Verdienst verhilft. Boas als Verwandter Noomis gelingt es, Grundstück und Besitz auszulösen (vgl. Hintergrundinformationen KV1). Nachdem er Rut geheiratet und mit ihr einen Sohn hat, erhält Noomi wieder einen Platz in der messianischen Heilshoffnung. Ruts Sohn Obed wird der Vater von Isai und der Großvater von

David. Damit erhält Rut einen Platz im Stammbaum Jesu und wird explizit in Mt 1,5 genannt.

Anregungen für den Unterricht

Die Lernenden befinden sich zur Einstimmung in einem Stuhlkreis. In einer ruhigen, entspannten Atmosphäre schließen sie die Augen und hören meditative Musik. Nach einer Weile legt ihr ihnen ein einzelnes Weizenkorn mit der Bitte, den Gegenstand zu spüren, zu ertasten, zu erfühlen, in die geöffnete Hand.

Nach dieser meditativen Phase reflektieren die Lernenden das Gefühl beim Ertasten des Weizenkorns und bringen ihre Eindrücke mit dem Bibelimpuls Joh 12,24 „Amen, amen, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.“1 in Verbindung.

Die Lernenden arbeiten heraus, dass aus einem winzigen Körnchen eine neue großartige Frucht entstehen kann, von dem Körnchen also eine ungeheure Kraft und neues Leben ausgeht. Im übertragenen Sinn heißt dies: Frucht bringen, selbst zur Frucht zu werden. Sich selbst aufzugeben, indem man sich verschenkt, Leben und Liebe schenkt, wirkt sich nachhaltig auf das eigene Leben aus. Man selbst erfährt Liebe.

Über eine Bildbetrachtung und -beschreibung des Rut-Motivs auf dem Hungertuch „Biblische Frauengestalten“ von Lucy D’Souza werden die Lernenden an die drei alttestamentlichen Gestalten Rut, Noomi und Boas herangeführt. Das Bild ist z. B. in der Broschüre „Auf Tuchfühlung. MISEREOR Hungertücher 1976–2020“ (Seite 19) zu finden und kann so den Lernenden digital präsentiert werden. Die drei Personen sind einander zugewandt und mit Getreideähren beschäftigt. Der Mann (Boas) steht hinter der dunkelhäutigen jungen Frau (Rut), die der älteren (Noomi) eine Garbe reicht. Das Korn steht als Zeichen für ihren Lebensunterhalt, ihre Existenzsicherung und Fruchtbarkeit. Rut liest Ähren auf dem Feld von Boas. Sie sammelt den Weizen in ihrem Sari. Noomi trägt als ältere Frau ihren Sari um den Kopf. Die dunklere Hautfarbe Ruts kennzeichnet sie als Fremde.

Mit den Hintergrundinformationen (KV1) präsentiert die Lehrkraft den Lernenden den biblischen Kontext und bereitet sie auf den verfremdeten Text „Ich bin Boas…“ von Hildegard Wagner vor, den ihr hier findet (Seite 7/8).

Das anschließende Unterrichtsgespräch thematisiert zunächst Bibelstelle, Bild sowie Text, um Ruts ungewöhnliches, revolutionäres Verhalten herauszuarbeiten und ihr Verhalten als Ausdruck von Liebe und Solidarität zu deuten. Rut nimmt eine unsichere Zukunft in Kauf, um bei Noomi zu bleiben, die ebenfalls allein ist. Über die Symbolik des Weizenkorns (Einstieg, Bild) erkennen die Lernenden, dass das Korn zunächst für die Existenzsicherung Ruts und Noomis steht. Doch Rut selbst ist symbolisch gesehen ein Weizenkorn, weil sie sich zunächst aufgibt und verändert, indem sie Land, Volk, Familie und ihre Götter verlässt, um völlig uneigennützig Noomi zu folgen. Das Korn symbolisiert zudem Ruts Fruchtbarkeit: Ihre Verbindung mit Boas verdeutlicht, dass Mann und Frau gleichwertig am Aufbau der Gesellschaft teilhaben.

Erkenntnisgewinn für die Lernenden

Ein Transfer zur Lebenswirklichkeit der Lernenden bietet sich an, indem Ruts Qualitäten auf heutige Aufbruchssituationen übertragen werden: Rut überwindet Zweifel, sie ist mutig, setzt großes Vertrauen in Menschen und in Gott, ist bereit, sich für andere aufzugeben, hinzugeben, weil sie liebt. Sie ergreift die Initiative, nimmt ihr Leben, ihre Zukunft selbst in die Hand und wird mit Segen und Heil beschenkt. Entscheidend ist demnach die Solidarität unter Frauen und Männern, das Vertrauen und die Hoffnung auf Gottes Begleitung und Hilfe.

Rut – ein Glaubensvorbild?

Eignet sich Rut als Identifikationsmodell? Ja, denn an ihrem Schicksal lässt sich aufzeigen, dass es des Mutes bedarf, sich trotz Zweifel für eine ungewisse Zukunft zu entscheiden. Sie nimmt ihr Leben selbst in die Hand, lässt sich nicht von Schicksalsschlägen entmutigen und wird dafür reichlich beschenkt. So weist die Einleitung in das Buch Rut der Einheitsübersetzung 2016 darauf hin, dass darin nicht nur Werte wie gegenseitiges Wohlwollen, Treue und Solidarität von Schwiegertochter und Schwiegermutter zum Ausdruck kommen, sondern auch darüber hinaus „ethnisch-religiöse Abgrenzungstendenzen“1 aufgebrochen werden. Der Fokus wird dabei auf den einzelnen Menschen gelegt, der ethisch nach seinem Handeln beurteilt wird, und nicht nach seinem vormaligen Glauben oder Nicht-Glauben. Einzig der Glauben und das Vertrauen zählen. Insofern passt Rut bestens in den Stammbaum Jesu (Mt 1,5).

1Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, vollständig durchgesehene und überarbeitete Ausgabe © 2016 Katholische Bibelanstalt, Stuttgart

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