18. März 2022
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Sucht man vergeblich nach weiblichen Glaubensvorbildern und Identifikationsfiguren im Neuen Testament? Keineswegs. Mit Blick auf die traditionelle Rolle der Frau zur Zeit Jesu überrascht es, welchen unkonventionellen Umgang Jesus mit Frauen pflegte (vgl. Blog-Beitrag „Jesu Umgang mit Frauen“). Am Beispiel der syrophönizischen Frau (Mk 7,24-30) wird deutlich, dass Jesus nicht nur mit Frauen kommunizierte, sondern es zeigt auch seine Lernwilligkeit und Lernfähigkeit im Umgang mit Frauen.

Die Perikope Mk 7,24-30, überschrieben mit „Der Glaube der heidnischen Frau“, handelt davon, dass eine heidnische Frau aus Syrophönizien sich Jesus nähert und ihn bittet, ihre kranke Tochter zu heilen. Jesus will sie mit den Worten abweisen: „Lasst zuerst die Kinder satt werden; denn es ist nicht recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und den kleinen Hunden vorzuwerfen.“ (V. 27) Sie entgegnet ihm darauf: „Herr! Aber auch die kleinen Hunde unter dem Tisch essen von den Brotkrumen der Kinder.“ (V. 28)

Diesen Wortwechsel versteht man nur, wenn man erkennt, dass Heiden mit „Hunden“ gleichgesetzt bzw. als „Hunde“ bezeichnet wurden. Die Äußerung Jesu ist also dahingehend zu deuten, dass er der Syrophönizierin, der Heidin, klar machen wollte, dass er lediglich für die „Kinder des Hauses Israel“ zuständig ist, also für Juden und nicht für Heiden.

Die schlagfertige Bemerkung der Heidin weist Jesus jedoch darauf hin, dass auch von der „Lehre“ – letztlich von dem Glauben – etwas „übrigbleibt“, nämlich die „Brotkrumen“, die den Heiden als „Nahrung“ reichen.

Darauf hin entgegnet ihr Jesus: „Weil du das gesagt hast, sage ich dir: Geh nach Hause, der Dämon hat deine Tochter verlassen!“ (V. 29)

An dieser Äußerung lässt Jesus erkennen, dass seine Botschaft nicht nur für die Israeliten gilt, sondern für alle Menschen, die an ihn glauben.

Die Beharrlichkeit und Schlagfertigkeit der syrophönizischen Frau sowie der Hinweis, dass er für alle Menschen, nicht nur für die Juden da sei, führt ihn zu der Erkenntnis, dass seinem Wirken im Sinne Gottes keine sozialen, politischen oder religiösen Grenzen gesetzt sind.

An der syrophönizischen Frau lässt sich das Selbstbewusstsein der neutestamentlichen Frau aufzeigen. Vor allem die Bereitschaft, auf andere zu vertrauen, sich von anderen (in diesem Fall von Jesus) helfen zu lassen.

Anregungen für den Unterricht

Zunächst stellen die Lernenden unter Anleitung der Lehrenden ein Standbild nach, das der Perikope Mk 7,24-30 und dem später thematisierten Bild von Lucy D’Souza-Krone gleicht. Die Gruppe (mind. zwei Jünger, in der Mitte der sitzende „Jesus“) bildet eine feste Einheit, die die hinzutretende Frau mit der Tochter an der Hand abweist.

Das Auswertungsgespräch hebt den Mut, die Beharrlichkeit und die Hartnäckigkeit der Frau beim Eindringen in die (Männer-)Gruppe hervor.

Anschließend wird das Standbild mit dem Bild von Lucy D’Souza-Krone zur syrophönizischen Frau verglichen.

Über eine Bildbetrachtung und -beschreibung des Motivs auf dem Hungertuch „Biblische Frauengestalten“ von Lucy D’Souza werden die Lernenden an die Gestalt der syrophönizischen Frau herangeführt. Das Bild ist z. B. in der Broschüre „Auf Tuchfühlung. MISEREOR Hungertücher 1976–2020“ (Seite 19) zu finden und kann so den Lernenden digital präsentiert werden.

Das Bild von Lucy D’Souza-Krone zeigt die syrophönizische Frau im grünen Sari mit einer beschwörenden Geste. Mit der ausgestreckten und geöffneten Hand ist sie Jesus zugewandt, der andere Arm deutet mit dem gestreckten Zeigefinger auf ihre auf dem Boden liegende Tochter, die ein rotes Gewand trägt. Die Farbe Rot symbolisiert Liebe und Leben; Grün steht ebenfalls für Leben, darüber hinaus für Hoffnung und Glauben. Jesus selbst strahlt Ruhe und Selbstsicherheit aus. Sein gelbes Gewand erinnert an die Kleidung der heiligen Männer Indiens. Die dunkle Hautfarbe der Frau kennzeichnet sie ebenfalls wie Rut als Fremde. Der Hund neben der syrophönizischen Frau ist zum einen eine Anspielung auf den schlagfertigen Hinweis der Frau, dass die Hunde die Brotkrumen bekommen; zum anderen wurden die Heiden als Hunde (Schimpfwort) bezeichnet. Die Antwort Jesu ist demnach so zu verstehen, dass er selbst sein Auftreten und die Verkündigung der Reich-Gottes-Botschaft auf die Juden beschränkt sah und nicht auf die Heiden ausdehnen wollte.

Ein weiterführender Bildvergleich bietet sich für Kunstinteressierte an: Maria Hafner, eine Schweizer Künstlerin hat einen Bild-/Meditationsband zur syrophönizischen Frau herausgegeben: „Wer bist du – Wer bin ich? Heilung der Tochter einer Frau aus Syrophönizien“ erschienen im Rex Verlag Luzern 2012.

Nach Auswertung des Standbildes und dem Vergleich mit den künstlerischen Darstellungen wird den Lernenden die Bibelstelle präsentiert. In der Auswertungsphase wird der Fokus auf die Charakterisierung der Frau, die Funktion der Frau als Heidin und dem Motiv der Heilung gelegt.

  • Charakterisierung der Frau (Bedrohung der Frau, Hilflosig- und Ausweglosigkeit der Frau, aber auch Mut, Risikobereitschaft, sich einer Männergruppe zu nähern und Jesus anzusprechen sowie Selbstbewusstsein und Schlagfertigkeit);
  • Die Funktion als „Heidin“ (Außenseiterin), Spannung zwischen Jesus und der Heidin = Hund; Jesus lässt sich „aus der Reserve locken“, die Heilung der Tochter als Zusage der Nähe Gottes an alle Menschen begreifen, der Überwindung von Hass und Fremdenfeindlichkeit, die Problematisierung, sich selbst als Maßstab zu nehmen (Rasse, Herkunft, Religion);
  • Motiv der Heilung: Vertrauen, Beharrlichkeit, Treue, Zuversicht, Glauben an Gott, Hoffnung, Bereitschaft, sich helfen zu lassen, gesellschaftliche Barrieren/Konventionen werden durch den Glauben überwunden; Jesus hilft allen Menschen, Jesus hilft jedem, wenn er bereit ist, sich von ihm helfen zu lassen bzw. jedem, der glaubt.

Der abschließende verfremdete Text „Eine Frau auf dem Weg des Glaubens“ von Hans Heller und Gerd Wiesner, den ihr hier findet (S. 10-11), verdeutlicht aus der Sicht der heidnischen Frau, in welcher existentiellen Bedrohung und Ausweglosigkeit sie sich befindet. Jesus erweist sich als lernfähig; er erkennt, dass er allen Menschen, vorausgesetzt sie vertrauen ihm, das Heil bringen kann. Diese Perikope weist auf das Selbstbewusstsein, die Hartnäckigkeit und die Beharrlichkeit der Frau hin, die sich nicht abweisen lässt, weil sie in Jesus ihre Rettung und Hoffnung auf Heilung der Tochter sieht. Mit der Bereitschaft, sich (von Jesus) helfen zu lassen, sprengt sie jegliche Konventionen und Vorbehalte, und riskiert sogar abgewiesen, weggeschickt und verschmäht zu werden.

Erkenntnisgewinn für die Lernenden

Ein Transfer zur Lebenswirklichkeit der Lernenden bietet sich an, indem sie die Charakterstärke der syrophönizischen Frau erkennen und auf ihre Lebenswirklichkeit übertragen: Sie ist mutig und risikobereit, selbstsicher, schlagfertig und hartnäckig, sie lässt sich nicht abweisen, kann sich durchsetzen, ist bereit, den ersten Schritt zu gehen und sich helfen zu lassen. Letztlich setzt sie in Jesus ihr gesamtes Vertrauen und ihre Hoffnung auf Gottes Begleitung und Hilfe.

Die syrophönizische Frau – ein Glaubensvorbild?

Eignet sich die syrophönizische Frau, eine Heidin, als Identifikationsmodell?

Ja, denn an dieser Perikope lässt sich aufzeigen, dass es des Mutes bedarf, sich trotz Zweifel, Vorbehalten und traditionellen Konventionen, das eigene Schicksal und hier das der Tochter in die Hand zu nehmen und mutig für die eigene Sache einzutreten.

Zum Weiterlesen

Blogbeitrag „Jesu Umgang mit Frauen“

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