10. Januar 2023
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Sucht man vergeblich nach weiblichen Glaubensvorbildern und Identifikationsfiguren im Neuen Testament? Keineswegs. Mit Blick auf die traditionelle Rolle der Frau im Judentum (vgl. Blog-Beitrag Jesu Umgang mit Frauen) überrascht es, welchen unkonventionellen Umgang Jesus mit Frauen pflegte. An der Begegnung Jesu mit den Schwestern Marta und Maria aus Betanien wird deutlich, dass Jesus nicht nur mit Frauen kommunizierte, sondern ihnen auf Augenhöhe begegnet.

Maria und Marta aus Betanien

Maria und Marta werden in der Johannes-Version (Joh 11,17-27) mit einem anderen Akzent versehen und ihre Charakterzüge werden bei der Betrachtung klarer. Hier führt Marta mit Jesus ein leidenschaftliches Glaubensgespräch und legt gar ein Christusbekenntnis ab, das mit jenem des Petrus (Mt 16,16) vergleichbar ist und von dem die Kirche als Nachfolge Christi das Papstamt ableitet. Marta ist der erste Mensch, dem Jesus daraufhin offenbart: „Ich bin die Auferstehung und das Leben“ (Joh 11,25). Damit stellt Jesus Marta mit Petrus auf eine Stufe.

Für Maria wird die gleiche Szene aus Lukas auch von Johannes überliefert und erweitert: Hier salbt Maria Jesu Füße mit dem wertvollen Nardenöl und trocknet sie mit ihren Haaren. (Bei anderen Evangelisten ist es eine namenlose Prostituierte oder Maria-Magdalena). Die Lernenden verstehen, dass die Salbung in frühchristlicher Zeit als niederer Sklavendienst angesehen war und erkennen das Provokante an Marias Salbung, gleichzeitig aber auch die besondere Liebe und Zärtlichkeit zu Jesus. Mit ihrer verschwenderischen, exzentrischen Handlung erregt Maria sogar den Zorn Judas Iskariot. Der überlieferte Satz: „Warum hat man dieses Öl nicht für dreihundert Denare verkauft und den Erlös den Armen gegeben?“ (Joh 12,5) unterstreicht die Provokation ihrer Tat. Johannes überträgt die in der Urgemeinde berühmte Salbung Jesu der stillen und unscheinbaren Maria aus Betanien und verleiht ihr damit schweigend, aber aussagekräftig durch ihr Handeln eine gewichtige Rolle.

Der ganzheitliche Ansatz über die Salbung hat dabei die Funktion, nicht das demütigende, erniedrigende, sondern das salbende, pflegende Moment in den Vordergrund zu rücken und dabei die Lernenden selbst, mit ihrem ganzen Körper, mit ihrer Emotionalität, in die anschließende Diskussion hineinzunehmen.

Anregungen für den Unterricht

Einführung

Lernende sitzen ruhig und entspannt im Stuhlkreis; Lehrkraft führt eine „Salbung“ durch: duftendes Körperöl wird den Lernenden sanft auf den Handrücken gestrichen.

Auswertung

  • Welche Gefühle habt ihr dabei?
  • Wie fühlt sich das an?
  • Was hast du dabei empfunden?

Die Lernenden beschreiben ihre Gefühle und Empfindungen.

Salbung in der Antike

In der Antike war die Salbung in den altorientalischen Kulturen ein Mittel zur Körperpflege und zur Krankenheilung. Die Salbung zur Erfrischung des Gastes war bei besonders festlichen Gastmählern Aufgabe des Gastgebers. Salbungen galten als Luxus, der im Römischen Reich immer üblicher wurde. Deshalb wurden sie bald als Zeichen der Dekadenz gesehen und als „unmännlich“ verachtet. Gesalbt wurden auch Tote, um sie einzubalsamieren, in gewisser Weise zu konservieren. Im religiösen Bereich ist die Salbung ein Weiheritus: Dem Gesalbten wird göttliche Gnade und damit eine Sonderstellung verliehen. Allerdings: Gesalbt haben und wurden nur Männer!

Bibelimpuls: Joh 12,1-8

Diskussion: Wie kann man die Salbung Marias deuten unter Einbeziehung der Erkenntnisse aus dem LV und der eigenen Empfindungen während der Salbung?

  • Salbung Marias: niedrigster Sklavendienst
  • Maria nimmt die Salbung vor, was sonst üblicherweise nur von Männern (Sklaven) an Männern durchgeführt wird; Maria handelt, wird aktiv

Diskussion: Was will sie mit der Salbung bewirken?

  • Salbung als Ausdruck ihrer Liebe
  • Will etwas Gutes tun
  • Salbender/pflegender Moment
  • Nutzen der Salbung Jesu? Absichtslos gut zu sein
  • Kontrast: zärtliche Hände der Frau bei der Salbung/ungeheure Grausamkeit bei der Tötung Jesu

Info durch die Lehrkraft: Andere Evangelisten schreiben die berühmte Salbungsgeschichte anderen Frauen zu, z.B. Maria von Magdala oder einer (namenlosen) großen Sünderin (Prostituierten).

Diskussion: Welche Absicht könnte Johannes damit verfolgen, die Salbung der stillen Maria zuzuschreiben?

  • Revolution, Frau erkennt ihre Stärken
  • Tritt aus dem Schatten heraus
  • Spontaneität
  • Provoziert Judas Iskariot – Geiz – Offenheit, Großzügigkeit
  • Stumme, nachdrückliche Revolution
  • Gestalt enthält eine eigene Dynamik

Überleitung zu Marta

Auch Marta wird in der Johannes-Version mit einem anderen Akzent versehen und ihre Charakterzüge werden hier sehr viel klarer.

Bibelimpuls: Joh 11,17-27

Diskussion: Was ist an dieser Szene erkennbar?

  • Marta ist aktiv – spricht Jesus an
  • Legt ein Christusbekenntnis ab, dem des Petrus vergleichbar à Mt 16,16: „Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!“
  • Daraus hat die Kirche ihre Bestätigung, ihr Amt abgeleitet und das Petrusamt (Papstamt).
  • Marta ist die erste Frau, der Jesus bekennt, dass er die Auferstehung ist.
  • Marta ist somit Petrus gleichgestellt, mit ihm vergleichbar.
  • Johannes wirft also damit das traditionelle Frauenbild (Marta-Bild) über den Haufen.

Abschlussdiskussion

Vergleich: Wie werden Maria und Marta in der Johannes-Version dargestellt?

Zusammenfassung

Diskussion: Marta – Maria: Sind die beiden Frauen grundsätzlich nur als Gegensätze und Alternative zu begreifen?

Arbeitsauftrag: Zuletzt befassen sich die Lernenden in einem kreativen Schreibanlass (z.B. Brief an Marta oder Maria, Tagebucheintrag etc.) mit der Frage: Welche der betrachteten Frauengestalten steht dir am nächsten?

Erkenntnisgewinn für die Lernenden

Ein Transfer zur Lebenswirklichkeit der Lernenden bietet sich an, indem sie sich mit den Charakterzügen der beiden Frauen auseinandersetzen und sie auf ihre Lebenswirklichkeit übertragen: Beide brechen aus ihren vorgefertigten Strukturen und Mustern aus; beide sind mutig, selbstsicher, spontan, aber auch einfühlsam, zärtlich, liebevoll.

Marta und Maria aus Betanien – Glaubensvorbilder?

Eignen sich Marta und Maria als Identifikationsmodelle? Ja, denn an den unterschiedlichen Akzentsetzung der Evangelisten Lukas und Johannes lassen sich unterschiedliche Frauenrollen ableiten, diskutieren, schärfen oder bilden Reibungsflächen um eine individuelle Rolle, eine eigene Identität für sich zu finden.

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